“Ich kann das nicht mehr hören!” So der Ausruf eines mir bekannten Managers. “Ich höre neuerdings immer: “Das Team entscheidet jetzt!” Dann soll es doch endlich mal entscheiden! Die haben doch keine Ahnung! Scrum, ich flipp gleich aus, wenn mir der Scrum Master noch einmal sagt, dass ich hier nix zu sagen habe, sondern das Team entscheidet. Wir haben hier ein Unternehmen und keine anarchische Selbstfindungsgruppe.”

Agilen Arbeitsweisen eilt oft der Ruf voraus, dass sie Anarchie fördern. Das mag, wenn wir einer Definition von Anarchie glauben, nicht ganz richtig sein. Was aber sicher ein, leider, berechtigter Vorwurf ist, ist, dass die notwendige Selbstorganisation von agilen Teams schwierig sein kann und oft scheitert. Das muss aber nicht.

Selbstorganisation braucht ein Ziel. Jeder von uns kann sich in seinem Leben ganz gut selbstorganisieren. Die meisten von uns kommen von Geburt bis Tod gut durchs Leben. Die meiste Zeit selbstorganisiert. Sicher, es gibt Gesetze, Regeln, Anleitungen, haufenweise Vorschläge usw. Aber wenn wir ausschliesslich danach leben würden, würden wir es nicht bis in den Kindergarten schaffen. Jeder von uns hat ein Ziel, mag sie/er noch so klein oder noch so weise sein. Und im Hinblick auf dieses Ziel organisieren wir uns selbst.

Teams machen die Sache komplizierter, nein, komplexer. Hier gilt es zunächst eine Zielorientierung für das gesamte Team zu finden. Im klassischen Arbeitsumfeld kommt die von oben, vom Chef. Der weiss, was wir erreichen wollen/sollen. Sein Chef hat es ihm klar gemacht. Damit ist der Teamchef, nennen wir ihn Projektleiter oder Teamlead oder Bereichsleiter, der Eigentümer des Ziels ggü. seinem Team. Das hat das Team akzeptiert und übernimmt die Zielorientierung. Hat der Chef seine Hausaufgaben gemacht, gibt er nun nicht jeden Arbeitsschritt vor, Mr. Taylor lässt grüßen, sondern formuliert seine Zielsetzung/Erwartungshaltung klar und sauber und unmissverständlich. Dann kann das Team danach tatsächlich gut arbeiten.

Im agilen Arbeitsumfeld ist die Entwicklung der Zielorientierung schon eine Aufgabe des Teams. Bitte daran denken: Das Team hat keine formale Führungskraft. Und das bringt uns jetzt an den Anfang dieser Geschichte zurück. Der verzweifelte, frustrierte Manager, der nur sieht, dass Selbstorganisation nicht funktioniert und das daran festmacht, dass er feststellt, dass das Verhalten des Teams anarchistische Züge annimmt. Da die getroffenen Entscheidungen 1. andere Ergebnisse als erwartet erzeugen und 2. nicht nachvollziehbar sind und 3. die Ziele der übergeordneten Organisation, sagen wir die des Unternehmens, nicht unterstützt.

Wo können in solchen Fällen die Fehler liegen?
  • Die Produktvision hat Anforderungen des Managements, die evtl. aus Jahreszielsetzungen, strategischen Vorgaben usw. abgeleitet sind, nicht berücksichtigt. Dadurch fehlen der Produktvision einige wesentliche Dinge zum Kontext.
  • Das Team hat die Anforderungen des Managements zwar gekannt, auch wenn sie nicht in der Produktversion standen, aber ignoriert sie aus unterschiedlichen Gründen.
  • Werte im Scrum oder verwandten Rahmenwerken werden falsch verstanden oder interpretiert.
  • Der Manager wir ungeduldig, in der Regel hat er nicht kommuniziert bekommen, dass agile Rahmenwerke immer Mechanismen haben, die eine Lernkurve fördern. Und Lernen braucht Zeit. (Was haben Manager nicht? … Richtig …”)
  • Aber der Manager muss sich nicht zurückhalten, wenn er das Gefühl hat oder es sogar konkret festmachen kann, dass Dinge nicht gut laufen. Nicht vergessen, er hat schliesslich eine Menge Erfahrung und ein gutes Gespür.
  • Die Feedbackkultur ist schlecht. Ja, richtig schlecht! Agiles Arbeiten braucht eine funktionierende Feedbackkultur: 1. Jeder darf jedem Feedback geben, einzelnen oder in Gruppen, da nennen wir es auch gerne Retrospektive; 2. Feedback hat immer erst  einmal beobachtend und wertschätzend zu sein.
  • Da gibt es noch viele weitere Dinge, die man beim Feedback berücksichtigen kann. Aber langsam. Der erste Punkt ist schwierig genug, denn er verlangt auch, dass diese Feedbacks erst einmal losgelöst von den klassischen jährlichen Feedbackgesprächen laufen, in denen der Manager seinem Mitarbeiter Feedback gibt und es um Gehalt, Weiterbildung usw. geht. Das ist hier ein andere Kontext. Hier geht es um möglichst unmittelbares Feedback, um die Arbeitsweise und die damit verbundenen Ergebnisse zu verbessern.

Was ist nun zu tun? Viel … Aber es startet zumindest immer gut, wenn die Produktvision exzellent ist.